Realtalk Part 2

Mit dem neuen Jahr wuchsen automatisch auch neue Erwartungen. In mir, meiner Familie, Freunden und weiteren Umfeld. Doch in einem instabilen Zustand auch nur kleinste Erwartungen zu erfüllen, kann sich wie das Besteigen des Mt. Everest anfühlen.

Dabei geht es mir nicht immer schlecht. Oder anders gesagt, weiß ich häufig gar nicht, wie es mir eigentlich wirklich geht. Wie fühlt sich denn schlecht an? Und wo beginnt die Grenze zu besser oder gut? Es fühlt sich nicht so an, als ob ich eine objektive oder auch emotionale Antwort auf die Frage „Wie geht es dir“ geben kann.

„Wie geht es dir?“ Die erste Reaktion auf diese Frage ist der Blick auf meinen Körper. Tut etwas weh, fühlt sich etwas schlechter als sonst oder ist alles so weit in Ordnung? Darauf hin antworte ich dann. „Ach ja, wie immer“ oder „joa, geht so“. Ab und an sage ich auch einfach das offensichtliche: "Ich sitze." oder "ich bin wach". Denn wenn ich anfangen müsste, mein aktuelles, emotionales Wohlbefinden zu erklären, würde die Frage wohl in einem langen Monolog enden.

Schon in der Klinik fand ich die Frage schwierig. „Wie geht es Ihnen heute?“. Morgens um 9 war die Antwort wohl: müde, schlecht oder gut geschlafen, aufgeregt, etc.
Nachmittags konnte das schon: verwirrt, ruhelos, unausgelastet oder gelangweilt sein. Ab und an sagte ich auch einfach: „ganz gut“.

Denn so wie es mir im Moment geht, spiegelt häufig nicht unbedingt, wie ich mich fühle. Ich kann mich entsprechend der Umgebung oder der vor wenigen Minuten passierten Dingen gut, schlecht, verwirrt oder sonst wie fühlen. Doch die Gefühle, mit welchen ich häufig zu kämpfen habe, sind nicht ständig präsent. Vor allem nicht, wenn man mir diese Frage stellt. Dazu kommt, dass bis ich die Frage aktiv verarbeitet habe, die angemessene Zeit zu einer Antwort schon weit vestrichen ist.

Wie geht es dir?
Es geht mir schlecht. Ich fühle mich wie eine Versagerin, Einsam und in den meisten Fällen eine Bürde für meine Mitmenschen. Ich fühle mich nicht zugehörig und häufig missverstanden. Ich fühle mich ständig so, als müsste ich mich verteidigen, alles kommt mir zu nahe und doch nicht nah genug. Ich fühle mich, als müsste ich weinen, doch keine Träne ist zu sehen. Ich fühle mich wütend, auf mich selbst, meine Unfähigkeit und dass ich nicht einfach „normal“ funktionieren kann. Ich fühle mich verloren, identitätslos.
Ab und an, da fühle ich mich aber auch stark, selbstbewusst und mächtig. Ich fühle mich, als ob ich alles schaffen kann, jede Kleinigkeit zaubert mir ein Lächeln auf die Lippen. Doch in solchen Momenten folgt schon bald wieder die Schattenseite.

Mein häufigster Retter in der Not ist die Musik, Animes und Webtoons. Ich würde eigentlich gern meine Freunde schreiben, doch dafür scheine ich mich zu sehr von Menschen zu distanzieren. Das Gefühl mich vor jedem Verteidigen und Rechtfertigen zu müssen zu stark, als dass ich meine Mauern fallen lassen könnte.

Wenn ich zu meinem alten Ich zurückblicke, erinnere ich mich vor allem an eines: egal wie schlecht es mir ging, egal wie schwer die Situation. Sobald es jemanden scheinbar härter traf als mich, eine Person weinte oder aussprach, dass sie nicht weiterwusste, Gefühle zeigte, war ich zur Stelle. Mit einem Lächeln auf den Lippen und einem „alles wird gut, ich bin für dich da“. Ich würde zuhören, solange es nötig war. Umarmung und Taschentücher bereitstellen. Ich war die Schulter zum Ausweinen, der Fels in der Brandung. Die Starke.
Selbst heute bemerke ich dieses Verhalten, dass ich noch immer nicht ablegen kann. Sobald eine Kriese vor meinen Augen geschieht, schaltet mein Geist auf „Überlebensmodus“. In solchen Momenten übernehme ich die Führung, bin stark für alle anderen, finde Lösungen und sorge dafür, dass sich alle wieder beruhigen können.

Der Preis dafür ist meine Unfähigkeit, mich selbst fallen zu lassen. Loslassen, schreien, weinen, klagen. Selbst in eine Kriese stürzen, andere für mich sorgen lassen.

Umso mehr ich über mich lerne, umso mehr frage ich mich, wo das alles hinführen wird. Wohin führt mich mein Weg, wenn ich nicht weinen kann, wenn ich traurig bin, weil ich nicht bemerke, dass ich traurig bin? Wenn alle Gefühle erst dann ihren Schleier ablegen, wenn die Situation lang verflogen, die Gespräche lang geführt sind?

Doch obwohl es mich aufreibt, all diese Gefühle die mich immer dann quälen, wenn gerade niemand „Wie geht es dir“ fragt, will ich weiter gehen. Lernen, leben, lieben, lachen. Denn auch diese Gefühle sind dort irgendwo, in den untiefen meiner Gedanken und meines Seins.
Irgendwann finde ich einen Weg diese zu finden, zu sehen und zu verstehen. Bis dahin tappe ich weiter durch das halbdunkel, immer wieder den Blick zurückwerfend, um die Gefühle zu verstehen, die ich hinter mir gelassen habe.

Kommentare

Beliebte Posts aus diesem Blog

Rückblick Oktober 2024

Rückblick November 2024

Rückblick - September 2024